Sehr geehrter Herr Neher,
vielen Dank für Ihre unterstützende eMail.
Mich haben in den letzten Tagen zahlreiche Zuschriften erreicht, die sich mit den Maßnahmen der neugefassten 7. Infektionsschutzmaßnahmenverordnung des Freistaats Bayern (7. BayIfSMV) auseinandersetzen, insbesondere mit der dort geregelten Maskenpflicht an Schulen, auch am Platz und auch in Grundschulen (bei Listung im Bereich „rot“ gem. der Bayerischen Corona-Ampel; https://www.stmgp.bayern.de/coronavirus/). Vor allem für die Kinder in der Grundschule wird das von einzelnen Eltern äußerst kritisch gesehen und ich werde vielfach aufgefordert, es dem Kollegen Dieter Reiter sowie einzelnen anderen Landräten gleich zu tun und in einer Allgemeinverfügung zu regeln, diese Maßnahme der bayerischen Regelung für den Landkreis Dachau auszusetzen.
Viele andere Zuschriften ermuntern mich aber dazu, an der bayerischen Regelung nichts zu ändern, um die Gesundheit der Kinder, insbesondere auch mit Blick auf noch unbekannte Folgeschäden des (für die meisten Kinder zumeist eher ungefährlichen) Coronavirus, aber auch die Lehrkräfte zu schützen und den Präsenzunterricht an den Schulen möglichst lange sicherzustellen.
Die hinter diesen, sich widersprechenden Gedanken stehende Gründe und Motivationen kann ich auf beiden Seiten sehr gut nachvollziehen, zumal ich selbst Vater von 3 Kinder bin, eines davon auch noch in der Grundschule. Ihnen und uns allen ist gemein die Sorge um unsere Kinder und deren Wohlergehen; natürlich auch mir und meinen Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitsamt und im Landratsamt.
Insbesondere die aktuelle Entwicklung des Infektionsgeschehens zeigt uns sehr deutlich, dass sich das Virus derzeit rasant ausbreitet und daher quer durch die Gesellschaft und in allen Altersschichten angekommen ist. Wir sprechen hier von einem diffusen Infektionsgeschehen, da dies alle Bereiche/Gemeinden, alle Altersgruppen (vom Kleinkind mit knapp über einem Jahr bis hin zu älteren Personen) und viele wirtschaftliche und gesellschaftliche Bereiche sowie die Familien und auch die Schulen betrifft. Aktuell haben wir Infektionen an 9 Schulen mit 11 Klassen im Landkreis (davon 4 Klassen im Grundschulbereich) und wir haben in den letzten 5 Tagen auch 5 Infektionen innerhalb von Schulen festgestellt, wobei diese Infektionen noch vor Einführung der Maskenpflicht am Platz erfolgt sind und eben erst diese Woche festgestellt wurden.
Dass wir gerade bei unseren Kleinsten geringe Infektionszahlen aktenkundig haben, hängt vor allem daran, dass sich Infektionen bei Kindern kaum oder mit nur sehr geringen, als harmlos einzustufenden Symptomen zeigen, mithin sehr selten ein Arzt aufgesucht oder ein Test auf COVID-19 gemacht wird. Die Infektiosität der so erkrankten Kinder ist aber im Vergleich zu jener infizierter Erwachsener nach den aktuellen Erkenntnissen nicht unterschiedlich.
Die Infektionszahlen für den Landkreis Dachau steigen kontinuierlich an und wir haben bereits eine 7-Tage-Inzidenz von deutlich über 80 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner erreicht. Bei einem solchen Wert ist die Ausbreitungsgeschwindikeit ohne massive Einschränkungen der Übertragbarkeit exponentiell zunehmend. Das dann sicher zu erwartende Überspringen des Virus auch auf noch so gut geschützte, vulnerable Menschen - v.a. auch in höherem Alter - und der starke Anstieg dann auch wieder schwerer Krankheitsverläufe ist das Szenario, welches unbedingt zu verhindern ist.
Daher sieht die Infektionsschutzmaßnahmenverordnung des Freistaats Bayern zwingend und automatisch eine Reihe von Maßnahmen vor, darunter auch die Maskenpflicht an Schulen, in allen Klassenstufen und auch während des Unterrichts am Platz (§§ 25+26 der 7. BayIfSMV; https://www.verkuendung-bayern.de/baymbl/2020-601/). Der Rahmenhygieneplan an Schulen lässt diesbezüglich ebenfalls keinen Interpretationsspielraum offen. Hier sind zwar grundsätzlich auch örtliche Abstufungen je Schule möglich, dies betrifft aber nicht die Maskenpflicht, da diese in der vorrangigen (und neueren) 7. IfSMV verbindlich geregelt ist. Diese Regelungen sind fachlich begründet und beruhen auf unmissverständlichen Ratschlägen von diversen Experten, Studien (Übersicht aktuell auch auf SpiegelOnline: https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/corona-nach-aussagen-von-aerztekammer-praesident-was-fuer-die-wirksamkeit-von-masken-spricht-a-b66831a5-3fb5-4ec7-8b4a-23d2419fb4e7), aber – und das ist für mich am wichtigsten – einstimmig von allen unseren örtlichen ärztlichen Vertretern. Diesen vertraue ich bei jeder Krankheit in Normalzeiten; warum sollte ich als medizinischer Laie jetzt – gerade wenn sich hier alle einig sind – dieser örtlichen Fachkompetenz (die übrigens fast alle auch Kinder oder Enkel haben) aufgrund von irgendwelchen Studien oder Berichten im InterNet misstrauen. Ich persönlich verlasse mich bei meinen Entscheidungen, für welche ich zuständig und verantwortliche bin und welche ich am Ende auch zu verantworten habe, auf den vielfachen, hochkompetenten und engagierten örtlichen Sachverstand! Ausnahmen, wie sie für die Landeshauptstadt München und sowie einige wenige andere Landkreis nun verfügt wurden, sind jedenfalls für den Landkreis Dachau - vor allem wegen der sehr diffusen Infektionslage und dem Infektionsgeschehen an und in Schulen im Landkreis - nicht zu vergleichen.
Der Freistaat Bayern hat auf die Vorstöße der Kollegen auch bereits reagiert und inzwischen angeordnet, dass entsprechende Anordnungen zur Genehmigung vorzulegen sind und nur in sehr begrenzten Ausnahmefällen genehmigt werden. Auch die Schulleitungen wurden vom Kultusministerium schriftlich darauf hingewiesen, dass die Maskenpflicht an Schulen rechtlich bindend ist und gilt.
Den nächsten Schritt der Pandemieeindämmung, nämlich den Umstieg auf Wechsel-/Distanzunterricht wollen wir so lange wie möglich vermeiden. Dies ist auch das Anliegen von zahlreichen Zuschriften, welche mich erreicht haben. Hier geht es neben pädagogischen Aspekten auch um die problematische Betreuungssituation für viele Eltern, sollten die Kinder wieder Zuhause betreut werden müssen. Auch ich bin sehr sicher, dass unseren Kindern noch viel mehr zugemutet würde, wenn wir erneut in Homeschooling gehen, auch den Eltern, den Familien, der ganzen Gesellschaft. Auch die gesundheitlichen Schäden der Kinder schätze ich im Falle des Homeschoolings als greifbar höher ein als wegen der Maskenpflicht im Unterricht.
Ich habe daher in enger Abstimmung mit dem zuständigen Staatlichen Schulamt, dem Gesundheitsamt, unseren lokalen Experten in der Koordinierungsgruppe Pandemie und den uns vorgesetzten Behörden Wege gesucht, alle Bedürfnisse und Gedanken bestmöglich miteinander in Einklang zu bringen und abzuwägen. Von der Maskenpflicht selbst über ein Wahlrecht für Schulen bis hin zur Anordnung von Distanzunterricht haben wir dabei wirklich alles betrachtet. Im Ergebnis halten wir die Pflicht, im Unterricht Maske zu tragen, für das mildeste aller Mittel, um das Infektionsgeschehen an Schulen und im Landkreis in Schach zu halten und gleichzeitig den Regelbetrieb mit Präsenzunterricht an Schulen sicherzustellen. Hierzu möchte ich noch einmal klarstellen: Mit derart stark steigenden Infektionszahlen überall im Landkreis ist es sicher (weil mathematisch unausweichlich), dass auch Kinder infiziert sind. Und weil und während die Kinder über Stunden eng beieinander in geschlossenen Räumen – trotz regelmäßigem Lüften - zusammensitzen, verteilt sich das Virus dann rasant schnell. Die Maske ist kein Schutz, der 100 % Sicherheit bietet. Aber sie trägt (mit allen anderen Maßnahmen gemeinsam) dazu bei, die Virenlast des einzelnen Kindes (beim Aus- und Einatmen) und im Klassenzimmer so zu verringern, dass die Infektiosität sinkt.
Daher bleibt die Pflicht, im Unterricht Masken zu tragen, auch an Grundschulen, vorerst bestehen. Wir werden aber alle Schulleitungen bitten, die Lehrkräfte zu ermuntern, den Umgang mit der Maskenpflicht pragmatisch zu handhaben und darauf zu achten, dass die Kinder dadurch nicht überfordert werden. Dazu wird das Schulamt die Schulen auch nochmals sensibilisieren, sowohl hinsichtlich der richtigen Art zu Lüften, dass beim Sport keine Maske zu tragen ist, dass die Kinder regelmäßig Pause machen sollen, die passende Kleidung tragen dürfen und vielem mehr.
Ich bin sehr zuversichtlich, dass dieser Weg der richtige ist. Auch wenn ich weiß, dass sehr viele Menschen, die in ehrlicher Sorge um die Gesundheit ihrer Kinder sind und sich daher bei mir dafür einsetzen, dass ich die Maskenpflicht am Platz an Grundschulen (z.T. sogar vollständig) aussetze, bitte ich um Verständnis, dass wir hier weit mehr Argumente und Entwicklungen im Blick haben müssen. Was wir gemeinsam unbedingt verhindern müssen, ist nicht nur ein erneuter Lockdown, sondern Zustände wie aktuell in Belgien (siehe den Bericht in der heutigen Tagesschau www.tagesschau.de; dort hat man leider zu spät bzw. nicht konsequent genug reagiert) und vielen anderen Regionen.
Mit freundlichen Grüßen, bleiben Sie, Ihre Familien und alle Kinder gesund,
Stefan Löwl